10 Finanzprofis und ihre wichtigsten Botschaften
Diese zehn Persönlichkeiten wurden allesamt berühmt.
Ihre wichtigsten Aussagen zu Finanzmärkten könnt ihr hier nachlesen, sie sind durchaus widersprüchlich.
Einfach zum Nachdenken...
Eugene Fama – der Marktversteher
Eugene Fama war knapp 20 Jahre alt, als er an der Tufts University in Boston romanische Sprachen studierte. Aber die Texte von Voltaire durchzuackern langweilte ihn. Deshalb wechselte der Enkel sizilianischer Einwanderer ins Fach Wirtschaftswissenschaften. Was für ein Glück, könnte man sagen. 2013, mit 74 Jahren, erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie – für eine Arbeit, die er schon in den siebziger Jahren vorgestellt hatte. Fama ist der geistige Vater der 'Hypothese effizienter Märkte', einer der wichtigsten Theorien in der Kapitalmarktforschung. Im Kern sagt sie aus, dass in den Börsenkursen zu jeder Zeit schon alle relevanten Informationen enthalten sind. Dass also der aktuelle Preis stets die beste Schätzung für den wahren Wert einer Aktie ist. Damit hat Fama den Gedanken der Schwarmintelligenz in die Finanzwirtschaft eingeführt.
"Ich würde Stock-Picker mit Astrologen vergleichen, aber ich will nicht zu sehr über Astrologen herziehen."
In der von ihm skizzierten Welt der Märkte ist es sinnlos, nach aussichtsreichen Aktien zu suchen. Niemand kann einen Vorteil daraus ziehen, Konzernbilanzen auszuquetschen und Bewertungen zu prüfen, weil die Kurse bereits alle Zahlen und Zukunftsaussichten widerspiegeln. Stock-Picker, also Geldprofis, die vorgeben, den Markt zu schlagen, indem sie die besten Aktien aussieben, vergleicht Fama daher mit Astrologen. Auch vom "verantwortungslosen Gerede" (Fama) über Kursblasen hält er nichts. Denn Blasen können sich in effizienten Märkten gar nicht bilden. Fama kündigte sogar sein Abonnement des "Economist", weil die Redaktion so oft über Blasen geschrieben hatte. Sein Gedankengebäude vom perfekten Markt hat zwar erbitterte Gegner, und die Märkte sind sicher nicht 100-prozentig effizient. Aber sie sind oft ziemlich effizient. So trägt Famas Werk viel zum Verständnis der Börse bei.
Daniel Kahneman – der Psychologe
Im Jahr 2002 hat Daniel Kahneman den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Geforscht hat der Psychologieprofessor von der Princeton University jedoch erst mal zu der Frage, auf welcher Grundlage sich Menschen entscheiden. Das Ergebnis klingt beunruhigend: Intuitiv fällen sie naheliegende, aber falsche Urteile, um den geistigen Aufwand gering zu halten. Wie bei folgender Aufgabe: Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Dollar. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Was kostet der Ball? Verlockend, aber die spontane Antwort "10 Cent" ist falsch. Denn dann würden Schläger und Ball zusammen 1,20 Dollar kosten. Die richtige Lösung lautet fünf Cent. Mehr als die Hälfte der befragten Studenten der Elite-Universitäten Harvard, MIT und Princeton haben die Frage falsch beantwortet. Es ist, als würden in jedem Gehirn zwei Systeme konkurrieren, ein faules und ein fleißiges, und das faule übernimmt erschreckend oft das Kommando. Beim Geldanlegen können solche Fehlurteile üble Folgen haben. Betroffen sind Profis wie Privatanleger.
"Die erfolgreichsten Fonds eines beliebigen Jahres haben einfach das meiste Glück. Sie haben gut gewürfelt."
Den Profis stellt Kahneman allerdings ein besonders schlechtes Zeugnis aus. Denn sie leiden obendrein an einer 'Kompetenzillusion' – auch ein Resultat seiner Studien. In seinem Buch 'Schnelles Denken, langsames Denken' schildert Kahneman, wie ihm eine Vermögensverwaltung für sehr reiche Kunden einmal eine Liste mit den jährlich erzielten Gewinnen übergab, die 25 Berater über einen Zeitraum von acht Jahren erzielt hatten. Kahneman wollte wissen, ob einige dieser Berater besonders gut waren. Also berechnete er die Korrelationen zwischen den Rangplätzen, die die Geldprofis in verschiedenen Jahren einnahmen. Die Werte lagen fast bei null. Die erwirtschafteten Renditen schwankten zufällig. Über den Acht-Jahres-Zeitraum betrachtet gab es nicht einen einzigen Berater, der herausstach. So ein Ergebnis würde man "bei einem Würfelspiel, nicht bei einem Geschicklichkeitsspiel erwarten", schreibt Kahneman. Davon wollten die Berater natürlich nichts wissen, sie ignorierten das Ergebnis. Eine Haltung, die der Nobelpreisträger auch bei Fondsmanagern beobachtet hat. Von ihnen schafft es ebenfalls kaum einer, den Markt dauerhaft zu schlagen (siehe auch John Bogle auf der nächsten Seite). Es sei ein Irrglaube, mit der Auswahl von Aktien den Markt übertrumpfen zu können, meint Kahneman. Für ihn ist deshalb klar: Wer sein Depot mit aktiv gemanagten Fonds bestückt, tut sich keinen Gefallen.
John Bogle – der Nachahmer
Kopiere einfach den Index – mit diesem Rezept hat John Bogle die Finanzbranche revolutioniert. Vor 40 Jahren legte er den ersten Indexfonds auf, mit seiner Investmentgesellschaft Vanguard. Ein Indexfonds baut ein Börsenbarometer wie den Dax oder den S&P 500 nach. Heute sind diese Fonds unter dem Kürzel ETF bekannt und ein Kassenschlager: Rund drei Billionen US-Dollar stecken weltweit in den Papieren – Tendenz steigend.
"Suche nicht die Nadel im Heuhaufen, kaufe einfach den Heuhaufen."
Es brauchte eine Menge Sturheit, um den Indexfonds zu diesem Erfolg zu verhelfen. Und die bringt der inzwischen 87-jährige Bogle zweifellos mit. In Interviews und Artikeln wettert er gegen die Investmentbranche, die seiner Ansicht nach vor allem die eigenen Taschen füllt, anstatt das Geld ihrer Kunden zu vermehren. Konkret wirft er den Geldmanagern vor, dass sie den Anlegern viel zu hohe Gebühren abknöpfen – mit der fadenscheinigen Begründung, sie würden dafür stets die aussichtsreichsten Aktien im Portfolio haben. "Hexenwerk", nennt Bogle das. Zahlreiche Studien geben ihm recht. Der Indexanbieter S&P Dow Jones hat dieses Jahr 25.000 aktiv gemanagte Fonds aus Europa unter die Lupe genommen. 86 Prozent dieser Fonds schafften es über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht, den Vergleichsindex zu schla-gen. Bei US-Aktien-, Schwellenländer- und weltweit anlegenden Fonds fällt die Bilanz noch katastrophaler aus: Hier bleiben zwischen 97 und 99 Prozent hinter dem Index zurück. Bogle zieht den Schluss, dass es nichts bringt, die Nadel (sprich: Aktie) im Heuhaufen (sprich: Index) zu suchen, wie es aktive Fondsmanager tun. Man sollte besser den gesamten Haufen kaufen, also passiv investieren.
Warren Buffett – der Superstar
Warren Buffets Erfolgsgeschichte begann mit einem Fehlgriff. So sieht es jedenfalls der Star-Investor selbst. 1965 übernahm er die Mehrheit am finanziell maroden Textilkonzern Berkshire Hathaway. Doch die Geschäfte liefen weiterhin miserabel. Trotz einiger Versuche, das unrentable Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen, musste Buffett das Geschäft dicht machen. Dass der Berkshire-Deal kein Reinfall wurde, lag daran, dass Buffet zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Versicherer übernommen hatte. So wurde die geschäftslose Firmenhülle 'Berkshire' zu einer Beteiligungsgesellschaft, die schon in zig bekannte Unternehmen eingestiegen ist: von Coca-Cola über Goldman Sachs bis zu IBM. Und weil Buffett, dessen Vermögen auf 65 Milliarden Dollar geschätzt wird, den Firmenwert in 51 Jahren im Schnitt um mehr als 20 Prozent jährlich steigerte, ist er zum berühmtesten Investor aller Zeiten aufgestiegen. Zur Berkshire-Hauptversammlung in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska pilgern jährlich Zehntausende Anleger wie Gläubige zu einer Wallfahrt.
"Wer auf die Tipps von Brokern hört, kann auch einen Friseur fragen, ob er einen neuen Haarschnitt empfiehlt."
Einblicke in sein profundes Wissen über die Kapitalmärkte gewährt Buffett im regelmäßig erscheinenden Berkshire-Aktionärsbrief – und mit knackigen Sprüchen, wie dem von Brokern und Friseuren (siehe oben). Damit weist Buffett auf den Interessenkonflikt hin, in dem die Finanzprofis stecken. Sie und ihre Arbeitgeber – Banken und Brokerfirmen – verdienen prächtig, wenn Anleger ihre Portfolios oft umschichten. Denn für jeden Kauf und Verkauf kassieren sie Gebühren. So liegt es nahe, dass die Empfehlungen der provisionsgetriebenen Berater den Investor ständig zum Handeln verleiten sollen.
John Templeton – der Mutige
1939 übermittelte der 27-jährige John Templeton einen ungewöhnlichen Auftrag an seinen Broker Fenner & Benne in New York: "Kaufen Sie für mich für jeweils 100 Dollar jede amerikanische Aktie, die weniger als einen Dollar kostet." Normalerweise hätte der Händler die Anweisung abgelehnt. Aber weil Templeton zuvor als Lehrling bei Fenner & Benne gearbeitet hatte, platzierte der Broker die Orders widerstandslos. Was Templeton bekam, war ein buntes Portfolio aus 104 Firmen, viele davon am Rande des Bankrotts. Aber genau das wollte er: darauf setzen, dass die Mehrzahl der Unter-nehmen die Wende schafft. 34 von ihnen gingen tatsächlich pleite. Doch weil die anderen die Kurve kriegten, konnte Templeton die eingesetzten 10.000 US-Dollar nach vier Jahren vervierfachen. Mit dem Geld baute er seine eigene Investmentfirma auf, die er 1992 an die Franklin-Gruppe verkaufte.
"Der einzige Investor, der nicht diversifizieren sollte, ist derjenige, der immer zu 100 Prozent richtigliegt."
Templeton verstarb im Jahr 2008. Doch seine Leitsätze sind nach wie vor lesenswert. Sein Coup mit den Penny-Stocks – so nennt man Aktien, die weniger als einen Dollar kosten – hat nur funktioniert, weil er einen seiner wichtigsten Grundsätze befolgte: Diversifikation. Hätte Templeton nur auf eine Aktie gewettet, wäre er mit einer Wahrscheinlichkeit von 33 Prozent baden gegangen – ein Vabanquespiel. So aber haben die Gewinne von zwei Dritteln der Aktien die Verluste der Bankrotteure weit übertroffen. Natürlich birgt die Diversifikation in 100 Penny Stocks immer noch eine Menge Risiken. Deshalb sollten Anleger ihr Geld auf verschiedene Anlageklassen wie Aktien, Anleihen, Immobilien und Rohstoffe verteilen und obendrein regional streuen. Das gilt um so mehr, als Finanzmärkte heute hochgradig vernetzt sind – und die Vermögenswerte eine Art Hang zum Massenabsturz zeigen. Anders ausgedrückt: In Krisenphasen springen die Korrelationen oft nach oben, die Wertpapierkurse rauschen gleichzeitig in die Tiefe. Das bedeutet nicht, dass Diversifikation Schnee von gestern ist. Im Gegenteil: Wer heute ein Portfolio baut, sollte sein Vermögen noch stärker streuen als früher.
William Bernstein – der Alleskönner
Vermögensberater, Publizist, Neurologe: William Bernstein hat viele Berufe ausgeübt – gleichzeitig. Als Finanzberater betreut er reiche Kunden mit einem Vermögen von mehr als 25 Millionen Dollar. Als Buchautor macht er sperrige Themen wie Asset Allocation oder Altersvorsorge einem großen Leserkreis zugänglich. Vanguard-Gründer John Bogle gehört zu seinen Vorbildern. "Ohne seine Unterstützung, hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft, über Geldanlage zu schreiben …Und ohne Vanguard wäre ich viel ärmer", sagt Bernstein.
"Unter allen Faktoren, die die Wertentwicklung deines Portfolios bestimmen, ist die Asset Allocation der einzige, den du beeinflussen kannst."
Auch für Bernstein gedeihen die Geldhäuser der Wall Street vor allem auf Kosten des einfachen Anlegers. "Sie befinden sich in einem Kampf auf Leben und Tod mit der Finanzindustrie", warnt er seine Leser. "Jeder Dollar an Gebühren, den Sie bezahlen, kommt direkt aus Ihrer Tasche." Um so wichtiger ist es seiner Ansicht nach, beim Investieren ein paar Grundregeln zu beachten. Der Fokus sollte auf niedrigen Kosten und der Asset Allocation liegen, also der richtigen Aufteilung des Vermögens auf verschiedene, wertunabhängige Anlageklassen. Denn von allen Faktoren, die die Performance eines Portfolios bestimmen, könne der Anleger ohnehin nur die Asset Allocation steuern. Ein treffender Gedanke: Denn Markt-Timing und Aktienauswahl führen langfristig nicht zum Erfolg. Und alle externen Ereignisse – der nächste Bankencrash, die nächste technologische Revolution oder die Entwicklung des US-Dollar – sind ohnehin nicht zu beeinflussen.
Peter Lynch – der Geduldige
Vom Caddy zur Fondslegende – diese Schlagzeile könnte über dem Lebenslauf von Peter Lynch stehen. 1966 heuerte Lynch, der Geschichte, Philosophie und Psychologie studiert hatte, bei der Fondsgesellschaft Fidelity an. Den Job bekam er, weil er als Caddy auf einem Golfplatz arbeitete und dort den damaligen Fidelity-Präsidenten D. George Sullivan kennenlernte. So begann Lynchs Aufstieg. 1977 übernahm er den Magellan-Fonds von Fidelity. Als er 13 Jahre später als Manager zurücktrat, war das Volumen des Magellan von 18 Millionen auf 14 Milliarden Dollar angewachsen. In dieser Zeit hatte Lynch eine durchschnittliche Rendite von 29 Prozent pro Jahr erwirtschaftet – rund 18 Prozentpunkte mehr als der S&P 500 (inklusive Dividenden!). Ob er einfach sehr viel Glück hatte, ein echter Überflieger ist oder beides zusammenspielte, sei dahingestellt. Der heute 72-Jährige ist auf jeden Fall einer der ganz wenigen Fondsmanager in der Börsengeschichte, die es schafften, den Index langfristig zu übertreffen.
"Erfolg oder Misserfolg – alles hängt davon ab, ob Sie die Ängste dieser Welt lange genug ignorieren können, um Ihre Investments wachsen zu lassen."
Für Lynch war Geduld einer der wichtigsten Schlüssel zum Börsenerfolg. Sein Ausspruch, man müsse die Ängste der Welt ausblenden, um an der Börse erfolgreich zu sein (siehe oben), erscheint in Zeiten, in denen Informationen immer nur einen Klick entfernt sind, aktueller denn je. Ob Brexit, Eurokrise oder die Abkühlung der chinesischen Konjunktur: Wer die Schlagzeilen in den Medien verfolgt, bekommt stets den Eindruck, der wirtschaftliche Kollaps stehe kurz bevor. Nur wer seiner Anlagestrategie in diesem Nachrichtengetöse treu bleibt, kommt an der Börse langfristig auf einen grünen Zweig. Das ist enorm schwierig, denn Menschen handeln schnell, wenn sie sich (oder ihre Investments) bedroht sehen. Doch emotionales Reagieren auf Finanzmarktereignisse ist kontraproduktiv.
Benjamin Graham – der Vordenker
Das beste Investment-Buch, das je geschrieben wurde? Wer Warren Buffett fragt, bekommt eine klare Antwort: "The Intelligent Investor" von Benjamin Graham. Buffett hat das Buch angeblich auf seiner Hochzeitsreise gelesen. Und nicht nur das: Buffett hat auch bei Graham studiert und zwei Jahre in dessen Firma, der Graham Newman Corporation, gearbeitet. Wer war der Mann, der Buffett zum wohl erfolgreichsten Investor aller Zeiten ausbildete?
"Das Wesentliche bei der Geldanlage ist das Management von Risiken, nicht das Management von Renditen."
Benjamin Graham, der 1976 im Alter von 82 Jahren starb, gilt als Urvater der Wertpapieranalyse. Er hat fundamentale Größen wie Dividende, Liquidität, Gewinnwachstum und Buchwert als Bewertungskriterien identifiziert. Sie fließen heute unverzüglich in die Aktienkurse ein. Dass Graham diese Kennzahlen in die Börsenanalyse einführte, ist kein Zufall. Er hat in seinem Investorenleben einschlägige Erfahrungen gesammelt. Seine Wall-Street-Karriere begann er als Laufbursche bei den Brokern von Newburger, Henderson & Loeb. Für ein paar Dollar pro Woche schrieb er Wertpapierkurse auf eine Tafel. 1929, als er bereits seine eigene Investmentfirma führte, wurde er zeuge eines der verheerendsten Börsencrashs der Menschheitsgeschichte – und danach der Großen Depression. Er musste mit ansehen, wie viele Investoren in den Ruin stürzten, weil sie blindlings auf Aktien gesetzt hatten. Fast wäre er selbst pleite gegangen. Daher wollte Graham die Aktienanlage auf ein quantitatives Fundament stellen. Seiner Zeit weit voraus war er auch auf einem anderen Gebiet: dem Risikomanagement. Graham erkannte früh, dass erfolgreiche Investoren nicht Renditen, sondern Risiken managen müssen. Ein Gedanke, der bis heute gültig ist, den aber kaum ein Geldmanager verinnerlicht hat. Im Gegenteil: Meist läuft das sogenannte Risikomanagement nach Schema F ab. Wenn es an der Börse rumort, schichtet der Portfoliomanager querbeet einige Prozentpunkte der Aktienpositionen in Bonds um. Sind die Kurse wieder gestiegen, dreht er den Spieß um. Wer Risikomanagement professionell betreibt, muss das Verlustrisiko klar beziffern und die Gewichte der Wertpapiere entsprechend anpassen. Dabei gilt es, die aktuellen Erkenntnisse der Börsenforschung zu berücksichtigen. Nur so bekommt man das Risiko an den Finanzmärkten in den Griff.
James O'Shaughnessy – der Computerfan
Auch James O'Shaughnessy ist ein Pionier – auf dem Gebiet der regelbasierten Aktienanlage. Er hat große Datenbanken ausgewertet, um Dutzende von Aktienstrategien zu testen, bis ins Jahr 1926 zurück. Die Ergebnisse hat er in seinem Buch "What Works On Wall Street" veröffentlicht, ein 680-Seiten-Wälzer, der erstmals 1997 erschien. Auch wenn zahlreiche Beobachter davon überzeugt sind, dass man den Markt per Aktienauswahl nicht schlagen kann, hat der US-Vermögensverwalter doch einen wichtigen Vorstoß gemacht, indem er das Investieren per Computermodell einem breiten Anlegerkreis nahebrachte. O'Shaughnessy hat riesige Datenbanken wie Compustat und CRSP (Center für Research in Security Prices) ausgewertet und geht beim Anlegen immer strikt nach Programm vor, also nach einem Algorithmus, um Bauch- und Stimmungsentscheidungen auszuschalten.
"Computermodelle haben keine Launen, keinen Streit mit ihrer Frau, keinen Kater von der Nacht zuvor."
Für Menschen ist das fast unmöglich. Wer der täglichen Nachrichtenflut und seinen Emotionen ausgesetzt ist, wirft sein Anlagekonzept meist schnell wieder über den Haufen. Deshalb setzt O'Shaughnessy auf Computer, die "keine Launen" haben, wie er sagt. Heute können Computer noch einen viel größeren Beitrag zum Anlageerfolg leisten. So lassen sich etwa mittels Monte-Carlo-Simulationen in kürzester Zeit Zehntausende Szenarien der künftigen Wertentwicklung eines Portfolios durchspielen und treffsichere Risikoprognosen ableiten. Mit solchen Verfahren kann man das Risiko eines Portfolios kontrollieren. Anleger werden vor großen Kurseinbrüchen geschützt, die emotional schwer zu ertragen sind.
Benoît Mandelbrot – der Querkopf
"Ich bin so oft und so lange allein unterwegs gewesen, dass mir das überhaupt nichts mehr ausmacht", hat Benoit Mandelbrot einmal gesagt. Und wahrscheinlich kann man das Leben des 2010 verstorbenen Mathematikprofessors kaum besser zusammenfassen. Er hat viele Felder der Wissenschaft beackert: theoretische Physik, Meteorologie, Aeronautik und Neurologie, um nur einige zu nennen – und natürlich die Finanzwirtschaft. Immer hat sich Mandelbrot dabei vom Mainstream distanziert und damit nicht selten den etablierten Wissenschaftsbetrieb gegen sich aufgebracht. Je nachdem, wen man fragt, gilt er als Selbstdarsteller, Querkopf oder Universalgenie.
"Die Finanziers und Anleger der Welt sind wie Seeleute, die keine Wetterwarnungen beachten."
Einen besonders erbitterten Kampf führte Mandelbrot in der Finanzwirtschaft. Er klagte die Geldbranche an, offensichtlich falsche wissenschaftliche Theorien in ihre Modelle zu übernehmen. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen die Normalverteilungsannahme. Sie besagt, dass die täglichen Kurssprünge an der Börse dem Muster der Gaußschen Normalverteilung folgen. Das "Normale" an dieser Verteilung ist: Große Kurssprünge nach oben oder unten kommen so gut wie nie vor. Unter dieser Voraussetzung dürfte der Dow-Jones-Index im Mittel nur alle 3.500 Jahre an einem Tag um mehr als fünf Prozent fallen. Die nackte Wahrheit ist aber: Solche Kursstürze treten im Schnitt alle 20 Monate auf. Die Börse ist also viel erratischer, als es die Normalverteilung vorsieht. Darauf hat Mandelbrot vor rund 50 Jahren erstmals hingewiesen. Dennoch wird diese Tatsache von der Mehrheit der Geldmanager bis heute ignoriert. In ihren Risikomodellen gehen sie immer noch von einer "sanften" Börse aus – einfach, weil sich damit viel einfacher rechnen lässt. Mandelbrot verglich die Finanzprofis deshalb mit Seeleuten, die ihre Schiffe so bauen, als gäbe es keine schweren Stürme. Wer sein Geld einem Vermögensverwalter anvertraut, sollte sich auf jeden Fall vergewissern, ob dessen Risikomodell auf dem aktuellen Stand der Finanzforschung ist.