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Die Ökonomie der Biodiversität - Der Dasgupta Report

Aktualisiert: 13. Dez. 2021

Unsere Wirtschaft, unsere Lebensgrundlage und unser Wohlergehen hängen von unserem wertvollsten Vermögenswert ab: der Natur


Freie Übersetzung der wesentlichen Abschnitte von "The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review" von Robert Zepnik anlässlich der Veröffentlichung der neuen Website der ZEPCON GmbH.

Wir Menschen verlassen uns darauf, dass uns die Natur mit Nahrung, Wasser und Obdach versorgt; dass sie unser Klima und Krankheiten reguliert; dass sie die Nähstoffkreisläufe und die Sauerstoffproduktion aufrecht hält; und dass sie uns mit spiritueller Erfüllung sowie Möglichkeiten zur Entspannung und Erholung versorgt. Alles Dienstleistungen, die wir für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden benötigen. Zum Dank nutzen wir den Planeten auch noch als Müllhalde, beispielsweise für Kohlendioxid, Plastik und andere Arten von Müll, inklusive aller Schadstoffemissionen.


Wir sind Teil der Natur, nicht außerhalb.

Natur ist ein Vermögenswert, genauso wie Produktions- (Straßen, Gebäude und Fabriken) oder Humankapital (Gesundheit, Wissen und Fähigkeiten). Doch wie Bildung und Gesundheit ist auch die Natur mehr als ein einfaches Wirtschaftsgut: Sie hat nicht nur einen „Gebrauchswert“, sondern auch einen „Eigenwert“.

Biodiversität ermöglicht es der Natur, produktiv, widerstandsfähig und anpassungsfähig zu sein. Genauso wie Vielfalt in einem Portfolio an Vermögensanlagen Risiko und Unsicherheit reduziert, erhöht Vielfalt in einem Portfolio an Naturgütern die Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks und verringert damit das Risiko, dass ihre Dienste ausbleiben. Reduzieren wir die Biodiversität, so werden Natur und Menschen darunter leiden.


Wir haben kollektiv versagt, nachhaltig mit der Natur umzugehen. Obwohl (oder weil) wir uns auf sie verlassen, überschreitet unsere Nachfrage an Gütern und Services bei weitem das Angebot, das sie bieten kann.

Wir alle sind Vermögensverwalter: Individuen, Unternehmen, Staaten und internationale Organisationen. Wir alle verwalten unser Vermögen, indem wir Ausgaben und Investitionen planen.

Wir haben allerdings versagt, unser globales Portfolio nachhaltig zu verwalten. Schätzungen zufolge haben wir zwischen 1992 und 2014 das Produktionskapital pro Person verdoppelt, das Humankapital pro Kopf um 13% gesteigert, doch den Bestand an Naturkapital pro Person um 40% reduziert. Für viele Menschen bekamen Wirtschaftswachstum und Entwicklung immer mehr die Bedeutung der Steigerung von Produktions- und Humankapital auf Kosten des Naturkapitals. Anders ausgedrückt, während die Menschheit in den letzten Jahrzehnten immer wohlhabender wurde, verursachte der Weg dorthin verheerende Schäden an der Natur. Gemessen an unserem gesamten Einfluss auf die Natur, bräuchten wir zur Aufrechterhaltung unseres aktuellen Lebensstandards etwa 1,6 Planeten Erde.

Der „Report“ nennt das Ungleichgewicht zwischen unserer Nachfrage und dem Angebot der Natur die „Impact Inequality“. Dieses Ungleichgewicht hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen. Wir werden zwar laufend „effizienter“, doch die Bevölkerung wächst weiterhin, die ökonomische Aktivität soll laufend zunehmen (zumindest ist das in unseren Köpfen so verankert) und gleichzeitig haben wir unsere Umwelt und damit ihre Regenerationsfähigkeit massiv geschädigt.

Um dieses Ungleichgewicht in ein Gleichgewicht zu transformieren, müssen wir Wege finden

  1. Den Pro-Kopf-Konsum verringern (es kann kein unendliches Wachstum geben)

  2. Die zukünftige Bevölkerungszahl reduzieren bzw. den Zuwachs dämpfen

  3. Die Effizienz erhöhen, mit der wir die Natur in Produktion verwandeln und mit der wir Abfall an sie zurückgeben

  4. In Natur als Vermögenswert und ihre Regenerationsfähigkeit investieren, indem wir sie bewahren und wiederherstellen

Unsere wenig nachhaltige Einstellung zur Natur gefährdet den Wohlstand heutiger und zukünftiger Generationen.

Die Biodiversität nimmt schneller ab als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Die Geschwindigkeit der Ausrottung von Arten liegt derzeit 100 bis 1.000 mal höher als normal, Tendenz weiterhin steigend. Dieser Artenverlust zehrt enorm an der Produktivität, der Resilienz und der Anpassungsfähigkeit der Natur. Er erhöht, anders betrachtet, Risken und Unsicherheiten für unsere Volkswirtschaften und unser Wohlergehen. Die verheerenden Auswirkungen von COVID-19 und anderen entstehenden Infektionskrankheiten, für die der Bodenverbrauch und die Ausbeutung verschiedener Tierarten die größten Treiber sind, könnten sich als Spitze eines Eisberges herausstellen, wenn wir unbeeindruckt so weitermachen.

Viele Ökosysteme, vom Regenwald bis zu den Korallenriffen, sind bereits unwiderruflich zerstört oder unmittelbar von „tipping points - Kipppunkten“ bedroht. Diese Kipppunkte werden katastrophale Auswirkungen sowohl auf unsere Volkswirtschaften als auch auf unseren Wohlstand haben. Darüber hinaus ist es teuer und schwierig, wenn nicht gar unmöglich, ein Ökosystem zu reparieren, wenn es einmal gekippt ist. Staaten mit niedrigem Einkommen, deren Volkswirtschaften noch viel mehr von der Umwelt abhängen als reiche Staaten, werden dabei am meisten verlieren.

Eine Umkehr dieser Trends verlangt rasches Handeln. Eine solche würde auch weit weniger Kosten verursachen als das Zuwarten und würde uns dabei helfen, größere gesellschaftliche Ziele zu adressieren, u.a. den Klimawandel (eine der wichtigsten Ursachen für den Verlust an Biodiversität) sowie eine Verminderung der Armut.


Tief verwurzeltes, weit verbreitetes institutionelles Versagen stellt den Kern des Problems dar.

Der gesellschaftliche Wert der Natur – also der wahre Wert ihrer vielfältigen Güter und Dienstleistungen – wird nicht in Marktpreisen repräsentiert, weil sie für uns alle ohne jegliche Kosten verfügbar ist. Diese Preisverzerrung hat uns dazu veranlasst, vergleichsweise mehr in andere Vermögensgegenstände, wie Produktionsgüter, zu investieren und zu wenig in unsere Naturgüter.

Dazu kommt, dass die Natur für uns schwer greifbare Eigenschaften aufweist: sie ist meist sehr mobil, sie ist oft unsichtbar (z.B. in Böden) und vielfach unhörbar. Diese Eigenschaften bedeuten, dass die Effekte vieler unserer Aktivitäten kaum nachzuvollziehen sind und daher unberücksichtigt bleiben, was wiederum weitreichenden Raum für „externe Effekte“ bietet und ein Funktionieren der Märkte erschwert.

Doch geht es nicht nur um ein Marktversagen, sondern auch um ein Institutionenversagen. Viele unserer Institutionen haben sich als unfähig erwiesen, mit Externalitäten fertig zu werden. Fast alle Regierungen dieser Welt verschärfen das Problem noch zusätzlich, indem sie mehr dafür ausgeben, die Natur auszubeuten, als sie zu bewahren und nicht nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten den Vorrang geben. Weltweit werden jährlich rd. 500 Milliarden US-Dollar Subventionen bezahlt, um die Natur auszubeuten und zu zerstören. Eine konservative Schätzung der Schäden dadurch beläuft sich auf etwa 4 bis 6 Billionen US-Dollar pro Jahr. Für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gibt die Menschheit lediglich 78 - 143 Milliarden US-Dollar aus, rd. 0,1% der globalen Wirtschaftsleistung. Vereinbarungen zum Schutz globaler öffentlicher Güter, wie der Ozeane oder Regenwälder, fehlen oft noch immer.

Die 15. Konferenz der Konvention für Biodiversität (COP15) und die 26. Konferenz der Konvention für Klimawandel der UNO (COP26) bieten zahlreiche Gelegenheiten, eine neue, ambitionierte Richtung für das kommende Jahrzehnt vorzugeben und auch die passende Umgebung für Verpflichtungserklärungen und institutionelle Vereinbarungen zu deren Einhaltung.


Die Lösung beginnt mit dem Verständnis und dem Akzeptieren einer einfachen Wahrheit: unsere Volkswirtschaften sind eingebettet in die Natur, sie stehen nicht außerhalb.

Die meisten volkswirtschaftlichen Modelle zu Wirtschaftswachstum und -entwicklung begreifen die Natur lediglich als Produzentin eines endlichen Stroms an Gütern und Dienstleistungen. Mit dem Glauben an Fortschritt und Technologie wollte man diese Erschöpfbarkeit überwinden. Zu Ende gedacht, steht die Menschheit damit außerhalb der Natur.

Der Report entwickelt die Ökonomie der Biodiversität auf dem Verständnis, dass wir – und unsere Volkswirtschaften – in die Natur eingebettet sind, nicht außen vor.


Der Ansatz des Reports basiert stark auf den Erkenntnissen der Ökologie, speziell darauf, wie Ökosysteme funktionieren und wie sie von wirtschaftlichen Aktivitäten beeinflusst werden. Er berücksichtigt dabei, wie wir natürliche Ressourcen für Produktion und Konsum ausbeuten, aber auch welchen Abfall wir durch diese Aktivitäten erzeugen, der letztlich unsere Ökosysteme beschädigt und damit deren Fähigkeit vermindert, jene Dienstleistungen herzustellen, von denen wir abhängen. Dieser Ansatz hilft uns zu verstehen, dass unser Wirtschaften Grenzen hat. Er verändert auch unser Verständnis dafür, was echtes nachhaltiges Wirtschaftswachstum und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung tatsächlich schaffen müssen: Die volle Berücksichtigung aller Auswirkungen unserer Interaktionen mit der Natur und das Abstimmen unserer Nachfrage auf die Angebotskapazität unserer Natur.

Grafik aus Folke, C., R. Biggs, A. V. Norström, B. Reyers, and J. Rockström. 2016. Social-ecological resilience and biosphere-based sustainability science. Ecology and Society 21(3):41. http://dx.doi.org/10.5751/ES-08748-210341. Übersetzung © zepcon GmbH



Wir müssen unser Denken und Handeln sowie die Art, Erfolg zu messen, verändern.

Wir müssen uns entscheiden. Den eingeschlagenen Pfad fortzuführen, wo unsere Nachfrage weit über dem Angebot der Natur liegt, und damit enorme Risiken und Unsicherheiten für unsere Volkswirtschaften einzugehen. Oder einen anderen Pfad einschlagen, einen Pfad nachhaltigen Wirtschaftswachstums, auf dem unsere Einstellung zur Natur nicht nur nachhaltig ist, sondern auf dem wir auch den Wohlstand und das Wohlbefinden von uns selbst und unserer Nachkommen steigern können.

Den nachhaltigen Pfad zu wählen bedeutet tiefen Wandel, unterstützt von Ehrgeiz, Koordination und politischem Willen, ähnlich einem neuen Marshall-Plan. Der Wandel muss in drei Richtungen getrieben werden:


1) Sorgen wir dafür, dass unsere Anforderungen an die Natur ihre Leistungsfähigkeit nicht überschreiten und dass diese wieder gesteigert werden kann

Nahrungsmittelproduktion ist eine der Hauptursachen für den Verlust an Artenvielfalt an Land, insbesondere die Fleischproduktion. Unsere Viehhaltung beansprucht ca. 67% der Agrarflächen weltweit. Hinzu kommen rd. 35% der gesamten Getreideproduktion als Futtermittel. Insgesamt widmen wir aktuell 77% des weltweiten Agrarlandes der Viehhaltung! Etwa ein Drittel aller Lebensmittel verlieren wir durch Verlust und Abfall entlang der Lieferketten, kommt also nie zu den KonsumentInnen und verursacht rd. 8% aller Treibhausgasemissionen. Und nach dem Kauf landen noch einmal rd. 30% der Nahrungsmittel im Müll!


Solange die globale Bevölkerung wächst, werden sich die enormen Probleme erhöhen, ausreichend Nahrung auf nachhaltige Weise herzustellen. Technologische Innovationen und nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung können den Anteil des Sektors am Klimawandel, an Bodenverbrauch und Verschmutzung der Meere verringern. Sie können auch umweltschädlichen Gütereinsatz und Abfall reduzieren, die Widerstandsfähigkeit des Produktionssystems erhöhen, indem sie moderne Methoden, wie Präzisionslandwirtschaft, integriertes Krankheiten- und Unkrautmanagement oder auch Gentechnik einsetzt. Diese Methoden schaffen positive wirtschaftliche Effekte und sogar neue Jobs. Unser Energiehunger ist ein weiterer erheblicher Faktor im Hinblick auf den Klimawandel und verursacht den Verlust vieler Arten. Die Dekarbonisierung unseres Energiesystems ist daher ein dringlicher und notweniger Teil bei der Ausbalancierung von Angebot und Nachfrage.

Wenn wir die natürlichen Grenzen nachhaltig einhalten und dabei die Bedürfnisse der menschlichen Bevölkerung mit einbeziehen wollen, dann können wir uns nicht alleine auf Technologie verlassen: wir müssen auch unseren Konsum und unsere Produktionsweise grundlegend verändern. Der schädliche Einfluss von Konsum und Produktion können durch eine Reihe politischer Maßnahmen aufgelöst werden, die zur Änderung von Preisen und Verhaltensnormen führen, z.B. die Einführung von Standards zu Wiederverwendung, Recycling und Sharing oder die Ausrichtung der globalen Lieferketten an umweltrelevanten Zielen.

Die nach wie vor rapide wachsende Bevölkerung hat signifikante Auswirkungen auf unsere zukünftige Nachfrage nach Natur und auf den globalen Konsum.

Nachwuchsplanung wird nicht nur von individuellen Präferenzen beeinflusst, sondern auch vom sozialen Umfeld. Ähnlich wie die Verbesserung des Zugangs von Frauen zu Finanzen, Information und Bildung, kann auch eine Unterstützung von Programmen zu community-basierter Familienplanung Präferenzen und Verhalten beeinflussen und so zur nötigen demographischen Wende führen. In solche Programme wurde bislang viel zu wenig investiert. Es ist ungeheuer wichtig, diese Versäumnisse zu beheben, auch wenn die Effekte erst langfristig sichtbar werden.

Der Schutz und die Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen stabilisiert und erhöht deren Angebot. Es ist viel günstiger, die Natur zu bewahren, als sie wiederherzustellen, wenn sie einmal geschädigt oder zerstört ist. Angesichts der signifikanten Risiken und Unsicherheiten der Konsequenzen zerstörter Ökosysteme gibt es auch vernünftige wirtschaftliche Gründe für quantitative Beschränkungen anstatt von Preismechanismen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Ausweitung und Verbesserung von Schutzgebieten. Wichtig wären auch multifunktionelle Landschaften und Meeresgebiete, die Güter und Dienstleistungen von Ökosystemen liefern und dabei die Biodiversität schützen oder erhöhen. Breite und groß dimensionierte Investitionen in naturbasierte Lösungen würden uns bei der Verhinderung von weiterem Artenverlust helfen und einen enormen Beitrag zur Entschärfung des Klimawandels und zur Anpassung daran leisten – sowie neue Jobs schaffen. Als Teil von steuerlichen Anreizpaketen in Folge von COVID-19 haben Investitionen in Naturkapital das Potential für rasche Gewinne. Darüber hinaus stellt Naturkapital den Großteil des Wohlstands in Ländern mit niedrigem Einkommen dar, denn diese hängen noch viel mehr von einer intakten Natur ab. So tragen der Schutz und die Wiederherstellung unserer Natur auch zur Verringerung von Armut bei.


2) Ändern wir unsere Messgrößen für wirtschaftlichen Erfolg, um auf einen nachhaltigeren Weg zu gelangen Die Natur sollte in der wirtschaftlichen und finanziellen Entscheidungsfindung in der gleichen Weise berücksichtigt werden wie Gebäude, Maschinen, Straßen oder menschliche Fähigkeiten. Damit das passiert, müssen wir unsere Messgrößen für wirtschaftlichen Erfolg ändern. Als Messgröße für wirtschaftliche Aktivität wird idR. das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für kurzfristige makroökonomische Analysen und für das Management eingesetzt. Allerdings berücksichtig das BIP nicht die Wertminderung von Vermögensgegenständen, also auch nicht jene der Umwelt. Unsere wichtigste Messgröße für wirtschaftlichen Erfolg fördert daher nicht nachhaltiges Wachstum und nicht nachhaltige Entwicklung.


Der Report zeigt, dass wir eine inklusive Messgröße für Wohlstand brauchen, um beurteilen zu können, ob wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig ist. Wenn wir unseren Wohlstand anhand aller Vermögenswerte messen, inklusive Natur, dann würde ‚inklusiver Wohlstand‘ eine klare und schlüssige Messgröße darstellen, die direkt mit dem Wohlergehen heutiger und zukünftiger Generationen korrespondiert. Dieser Zugang bezieht die Vorteile von Investitionen in die Natur mit ein und zeigt die Spannungsfelder sowie Interaktionen zwischen den Investments in die verschiedenen Vermögenswerte auf.

Die Einbeziehung von Naturkapital in buchhalterische Systeme bzw. die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wäre ein notwendiger Schritt, um inklusiven Wohlstand zur Messgröße für Fortschritt zu machen. Systeme für die Verrechnung und Bewertung von Naturkapital gibt es bereits in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, auch wenn einige Probleme betreffend Gestaltung und Bemessung noch nicht gelöst sind. Dies sollte Regierungen und Unternehmen jedoch nicht davon abhalten, solche Systeme zu unterstützen und zu fördern. Erhöhte Investitionen in Rechnungs- und Bewertungssysteme würde die Qualität von Naturkapitalkonten rasch verbessern. Die Standardisierung von Daten und Modellansätzen sowie technischer Support würden es enorm vereinfachen, Naturkapital in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu integrieren und v.a. würden die daraus gewonnenen Informationen die Entscheidungsfindung weltweit dramatisch verbessern (siehe auch das „Living Standards Framework – LSF“ in Neuseeland).


3) Transformieren wir unsere Institutionen und Systeme – inbesondere unsere Finanz- und Bildungssysteme – um die nötigen Veränderungen zu ermöglichen und sie für zukünftige Generationen zu erhalten.


Information für das Management von Ökosystemen ist asymmetrisch verteilt: vieles wird ausschließlich von lokalen Gemeinschaften verstanden und dort auch am besten verwaltet. Wichtige Blickwinkel liegen allerdings auch bei nationalen Regierungen, internationalen Organisationen und entlang globaler Lieferketten. Institutionelle Vereinbarungen, die nachhaltiges Interagieren mit Ökosystemen ermöglichen, sind polyzentrisch: Sie vereinigen Wissen und Perspektiven zwischen und über viele verschiedene/n Ebenen – global, regional, national und lokal – auch von unterschiedlichen Organisationen, Gemeinschaften und Individuen. Dabei ermöglichen sie den Fluss relevanter Information sowie gemeinschaftliche Planung, Teilhabe und Koordination.

Ökosysteme, die globale öffentliche Güter darstellen, übersteigen meist die Lösungskompetenz nationaler Regierungen. Der Report betont ausdrücklich die Notwendigkeit supra-nationaler institutioneller Vereinbarungen. Es gibt dabei zwei große Kategorien zu berücksichtigen. Für jene Ökosysteme (genauer Biome, d.h. Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen in einem größeren geographischen Raum, z.B. Regenwälder), die sich innerhalb nationaler Grenzen befinden, sollte ein System von Zahlungen an diese Nationen untersucht werden, damit diese die Ökosysteme schützen, die wir alle brauchen. Für Ökosysteme, die außerhalb nationaler Grenzen liegen, beispielsweise Meeresgebiete außerhalb exklusiver Wirtschaftszonen, sollten Abgaben für deren Benutzung (z.B. für Seefahrtswege oder Fischereirechte) eingehoben oder Nutzungsverbote für ökologisch besonders sensible Zonen eingeführt werden. Es könnte sogar sein, dass die Einnahmen aus den Abgaben die Kosten für die Zahlungen decken.

Um diese notwendigen Veränderungen zu ermöglichen, brauchen wir gemeinsame und andauernde Kraftanstrengungen, um auch jene Systeme zu transformieren, die unser Engagement für Natur unterstützen sollen, v.a. unser Finanz- und Bildungssystem. Unser globales Finanzsystem ist entscheidend bei der Unterstützung von nachhaltigem Engagement für die Natur. Aktuell sind die Geldflüsse, die unsere Naturgüter unterstützen, gering und werden von Förderungen oder anderen Geldflüssen, die allesamt umweltschädlich sind, weit übertroffen. Wir brauchen ein Finanzsystem, das Investitionen – öffentliche wie private – in Richtung wirtschaftlicher Aktivitäten kanalisiert, die den Bestand an Naturgütern erhöhen und nachhaltigen Konsum sowie nachhaltige Produktion fördern. Regierungen, Zentralbanken sowie internationale und private Finanzinstitutionen haben dabei wichtige Funktionen. Akteure des Finanzsektors können uns auch dabei helfen, jene Risiken zu vermindern oder zu bewältigen, die aus unserem nicht nachhaltigen Umgang mit der Natur resultieren. Unternehmen und Finanzinstitutionen können das tun, indem sie ihre Auswirkungen auf die und ihre Abhängigkeiten von der Natur in ihre Aktivitäten durch das Messen und Offenlegen, nicht nur von klimabezogenen sondern generell von umweltbezogenen finanziellen Risiken, mit einbeziehen. Zentralbanken und Finanzgesetzgebung können das Verständnis dafür erhöhen, indem sie das systemische Ausmaß umweltrelevanter finanzieller Risiken abschätzen. Was dafür unbedingt nötig ist, ist eine Reihe globaler Standards, die von glaubwürdigen, für Entscheidungen geeigneten Daten getragen werden, damit Unternehmen und Finanzinstitutionen umweltrelevante Überlegungen in ihre Entscheidungsfindung vollständig integrieren sowie ihren Verbrauch an bzw. ihre Auswirkungen auf die Natur auch messen und offenlegen können [Anm.: siehe EU-Green Deal, Transparenzverordnung usw.].

Sich alleine auf Institutionen zu verlassen wird jedoch nicht reichen, um unsere Maßlosigkeit einzudämmen. Die Einsicht, nachhaltig mit der Natur umgehen zu müssen, muss letztlich von jedem Einzelnen kommen. Gesellschaftlicher Wandel – vor allem die rasante Urbanisierung – haben allerdings dazu geführt, dass viele Menschen sich immer mehr von der Natur entfremdet haben. Maßnahmen, die es Menschen ermöglichen, Natur zu verstehen und sich mit ihr zu verbinden, würden nicht nur unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden steigern, sondern die BürgerInnen auch in die Lage versetzen, besser informierte Entscheidungen zu treffen und den notwendigen Wandel einzufordern. Sie könnten bspw. darauf bestehen, dass Geldanlagen nur mehr nachhaltig getätigt werden, oder dass Firmen ihren Umwelteinfluss entlang der gesamten Lieferkette offenlegen. Wir könnten auch Produkte boykottieren, die gewisse Mindeststandards nicht einhalten. Eine Integration der Natur in die Bildungspolitik ist also essentiell. Die Entwicklung und Ausgestaltung von Umweltbildungsprogrammen hilft dabei, konkrete Wirkungen zu erzielen, indem z.B. der Fokus auf lokale Problemfelder, auf die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und öffentlichen Organisationen gelegt wird.


Transformation ist möglich – wir und unsere Nachkommen verdienen nicht weniger.

Genaugenommen sind die Probleme, mit denen wir heute kämpfen nicht anders als jene, mit denen unsere Vorfahren kämpften: Wie finden wir die richtige Balance zwischen dem, was die Menschheit der Natur entnimmt, und dem, was wir unseren Nachkommen hinterlassen. Während unsere Vorfahren nicht in der Lage waren, das System Erde als Ganzes zu beeinflussen, tun wir heute allerdings genau das.

Die nötige Transformation zur Nachhaltigkeit erfordert große Anstrengung von Akteuren auf allen Ebenen. Sie verlangt auch harte Entscheidungen. Viele heute üblichen volkswirtschaftlichen Modelle unterstellen Menschen egoistische Entscheidungen. Es gibt allerdings immer mehr Hinweise darauf, dass unsere Präferenzen von den Entscheidungen anderer beeinflusst werden – sie sind also ‚sozial eingebettet‘. Indem wir also bei unseren Handlungen auch auf andere schauen, sind die nötigen Veränderungen nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sogar weniger kostspielig und auch weniger schwierig als gemeinhin angenommen.

Die Erfolgsgeschichten aus der ganzen Welt, die im Report dargestellt werden, zeigen, was alles möglich ist. Sie zeigen auch, dass dieselbe Genialität, die uns dazu brachte, dass unser Verbrauch an Natur in so kurzer Zeit so enorm und so schädlich werden konnte, so abgeändert werden kann, dass wir auch die Transformation bewältigen, vielleicht sogar in ebenso kurzer Zeit. Wir und unsere Nachkommen haben es verdient.


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